12.09.2003

„Beckstein muss das Lager schließen!“

Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen ziehen im Rahmen der Aktionstage gegen (Abschiebe-)Lager eine verheerende Bilanz nach einem Jahr „Ausreisezentrum“ Fürth

Bundesweite Kampagne gegen Abschiebungen, Abschiebehaft und Abschiebelager: Die Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen der bundesweiten Kampagne gegen Abschiebungen, Abschiebehaft und Abschiebelager fordern Innenminister Günther Beckstein auf, das Fürther Abschiebelager sofort zu schließen. Der bislang einjährige Betrieb offenbart einen menschenverachtenden Umgang mit Flüchtlingen, die nicht abgeschoben werden können. Das „Ausreisezentrum“ zielt darauf ab, den Willen der Insassen zu brechen und sie mit Hilfe psychischen Drucks zu einer widerstandslosen Ausreise zu nötigen, die dann als „freiwillig“ dargestellt wird. Offenbar beabsichtigter Haupteffekt des Abschiebelagers ist das Untertauchen der Hälfte der eingewiesenen Flüchtlinge. „Gegen diese Illegalisierungspolitik muss Widerstand geleistet werden, denn sie treibt die Flüchtlinge in die totale Rechtlosigkeit und beraubt sie ihrer Grund- und Menschenrechte“ erklären die VeranstalterInnen.

Die ersten Abschiebelager nahmen auf Anregung der Innenministerkonferenz 1998 ihren Betrieb in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen auf. Seitdem führten Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Bayern weitere solcher Lager ein, Nordrhein-Westfalen löste sein Lager nach massiven Protesten und dem Selbstmord eines Insassen wieder auf.
Abschiebelager dienen laut Dietmar Martini-Emden (zuständiger Beamter für das Abschiebelager Rheinland-Pfalz) dazu, „zwischen dem einzigen Druckmittel Abschiebehaft und letztendlicher Kapitulation [der Flüchtlinge] eine wichtige Lücke“ zu schließen. Damit ist das Ziel der Abschiebelager bereits deutlich umrissen:

Flüchtlinge, die aufgrund fehlender Papiere nicht abgeschoben werden können, werden in Abschiebelager eingewiesen, um sie mit psychischem Druck zur „Kapitulation“, d.h. zur (von den Behörden „freiwillig“ genannten) widerstandslosen Ausreise oder in die Illegalität zu zwingen. Ermöglichen soll dies eine „Zermürbetaktik“, wie Christoph Hammer, zuständiger Beamter für das Fürther Abschiebelager, dessen Funktionsweise treffend beschreibt.

Zentraler Bestandteil der Zermürbetaktik ist die Isolation der Flüchtlinge im Lager von der Fürther Bevölkerung. Dies gelingt durch einen 2,20 m hohen Zaun um das Lager im Randbereich der Stadt Fürth; Zugangskontrollen durch einen privaten Sicherheitsdienst; Besuchsverbote; tägliche Lebensmittelversorgung zur Sicherstellung der Anwesenheit; Polizeikontrollen, die für die Insassen zu Bußgeldern führen, da sie ohne Pässe ihrer Ausweispflicht nicht nachkommen können; Psychoterror durch mehrmals wöchentliche Verhöre, Botschaftsvorführungen, Zimmerdurchsuchungen u.a.
Mit der Zeit zeigt die Zermürbetaktik ihre Wirkung: Etwa die Hälfte der Flüchtlinge entzieht sich dem Zugriff der Behörden, indem sie in die Illegalität abtauchen. Wenige Insassen kapitulieren tatsächlich und erklären sich zur Ausreise bereit. Als Belohnung dürfen sie am PIKO-Projekt (Praktikum in kommunalen Organisationseinheiten) teilnehmen, das ihnen nach Angaben des Innenministeriums Kenntnisse und Fertigkeiten vermitteln soll, die ihnen den Neustart in ihrem Herkunftsstaat erleichtern sollen. Beabsichtigter Zynismus oder nicht: Ihre Hauptbeschäftigung ist das Ausheben von Gräbern auf dem städtischen Friedhof. Die übrigen Betroffenen verbleiben im Lager, „etliche zeigen Symptome psychischer Zersetzung wie Depressionen, Angstzustände, Alpträume, Appetit- und Schlaflosigkeit, manche entwickeln Alkoholmissbrauch oder aggressives Verhalten“, so Alexander Thal von res publica.

Dass sich das bayerische Abschiebelager nur gering von denen in anderen Bundesländern unterscheidet, obwohl Bayerns Innenminister Beckstein das Gegenteil behauptet, zeigen die Ausführungen eines ehemaligen Insassen des Abschiebelagers in Trier. 'Seit dem Zusammenbruch der UDSSR bin ich staatenlos. Ich bin schon zu drei verschiedenen Botschaften gebracht worden, um meine Staatsangehörigkeit zu klären. aber selbst Armenien, in dem ich geboren bin, will mich nicht aufnehmen, weil ich Moslem bin. Ohne Staatsangehörigkeit kann ich nicht ausreisen, wohin soll ich also gehen?'

„Die Einweisung in ein Ausreisezentrum und die sich daran anschließenden Maßnahmen bedeuten einen erheblichen Eingriff in Grundrechte der Betroffenen“, stellt Rechtsanwalt Peter Fahlbusch aus Hannover fest, der in den letzten Jahren Flüchtlinge aus dem Abschiebelager Braunschweig vor Gericht vertreten hat. Er kritisiert, dass es bereits an einer hinreichenden Rechtsgrundlage fehlt. Selbst dann, wenn keine realistische Chance zur Beschaffung von Passersatzpapieren besteht, wird die Unterbringung mit der Absicht der gezielten Willensbeugung der Flüchtlinge aufrechterhalten; dies komme einer strafähnlichen Maßnahme gleich und sei rechtsstaatlich nicht vertretbar. Entsprechende Bedenken haben mittlerweile auch einige Verwaltungsgerichte aufgenommen, zuletzt das Verwaltungsgericht Trier im April 2003. Dessen Anordnung, eine vierköpfige Familie aus dem Abschiebelager Trier zu entlassen, löste eine Entlassungswelle aus. Die rheinland-pfälzischen Behörden wollten damit einer Klagewelle der Insassen des Trierer Lagers zuvorkommen.

„Ausreisezentren“ sind kein isoliertes Phänomen, keine Auswüchse eines ansonsten humanen Systems der Behandlung von Flüchtlingen. „Abschiebelager sind Teil des deutschen dezentralen Systems kleiner Lager“, so Tobias Pieper von der Initiative gegen das Chipkartensystem Berlin. Dieses Lagersystem ist zu verstehen als ein sich dezentral über den Raum der BRD spannendes Netz der Unterbringung und Verwaltung, das sich aus unterschiedlichen Komponenten zusammensetzt – angefangen bei den Zentralen Aufnahmestellen, über die zur langfristigen Unterbringung angelegten Sammellager, sog. Gemeinschaftsunterkünfte für AsylbewerberInnen, dem neuen Bindeglied „Ausreisezentrum“ als Illegalisierungsmaschinerie für nicht abschiebbare Menschen bis hin zur Abschiebehaft als Ort der Vorbereitung von Abschiebungen, ein reines Repressionsinstrument im rechtsfreien Raum. Die Dezentralität des Lagersystems wird durch das - nur in Deutschland existierende - Gesetz der Residenzpflicht gewährleistet. Es sorgt für die bundesweite Verteilung der schutzsuchenden Flüchtlinge auf die einzelnen Landkreise und stellt das Verlassen derselben unter Geld- und Haftstrafe. Pieper moniert die Parzellierung des Raums durch ein virtuelles Netz, in dem die Flüchtlinge gleichmäßig verteilt, verwaltet und festgehalten werden.

Wie sich dieses dezentrale Lagersystem auf das Leben von Flüchtlingen auswirkt, beschreibt ein Vertreter von der Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen: 'Die Errichtung moderner, brutaler und neoliberaler Abschiebe- und Verfolgungszentren steht für nichts anderes als für die Schäbigkeit neokolonialer Macht. Wir werden in zerstörte Länder abgeschoben, die jeder Zukunft beraubt wurden. Wir werden, wie zu Beginn der Kolonialisierung, wie Tiere behandelt, die der sogenannten europäischen Ideale von Freiheit und Demokratie nicht würdig sind. Wir werden in Käfige gesperrt, seien es Heime, Abschiebelager oder Abschiebegefängnisse'. Er hält den deutschen Behörden vor, mit der Unterbringung von Flüchtlingen in isolierten Lagern, und rassistischen Residenzpflicht-Kontrollen, widerstandslose Abschiebungen ermöglichen zu wollen.

Die Kampagne gegen Abschiebungen, Abschiebehaft und Abschiebelager stellt als Veranstalterin der Hearings abschließend fest: „Wir fordern, dass das Abschiebelager Fürth geschlossen wird! Wir wollen auch keine neuen Lager mit anderen Namen, weder in Deutschland noch an den Grenzen Europas. Wir verlangen die Schließung aller bestehenden Lager und Abschiebeknäste!“

Am Samstag, 13.09.2003, 12.00 Uhr beginnt die zentrale Demonstration der Aktionstage mit einer Kundgebung an der Fürther Freiheit. Ab 13.00 Uhr setzt sich die Demonstration in Bewegung zum Abschiebelager in der Fürther Hafenstraße. Aufgerufen hat ein breites Bündnis von antirassistischen Gruppen und Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen zur. Gegen 16 Uhr schließt sich ein Open-Air-Konzert an, das das Nürnberger SchülerInnenbündnis gegen Krieg auf dem Campgelände an der Fürther Ludwigsbrücke organisiert.

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