04.08.2015
Balkan-Sonderlager beschleunigen gar nichts
Zum Bericht aus der Kabinettssitzung vom 4.8.15
Laut Bericht von der heutigen Kabinettssitzung erwartet Innenminister Joachim Herrmann eine „erhebliche Beschleunigung der Asylverfahren“ von Balkan-Flüchtlingen durch die neu einzurichtenden Abschiebelager.
Der Bayerische Flüchtlingsrat hält hingegen fest, dass die Bearbeitungsdauer von Asylanträgen ausschließlich von der Zahl der MitarbeiterInnen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) abhängt. Das BAMF hat es in der Vergangenheit versäumt, rechtzeitig neues Personal einzustellen und einzuarbeiten, weshalb sich ein Rückstau von fast 250.000 Asylanträgen gebildet hat. Manche Flüchtlinge warten allein zwei Jahre, bis sie überhaupt zu ihren Fluchtursachen angehört werden. Dieses Problem lässt sich nur mit mehr Personal lösen, nicht jedoch mit schlechten Lebensbedingungen.
„Die Balkan-Sonderlager beschleunigen gar nichts. Durch menschenunwürdige Lebensbedingungen werden die dort untergebrachten Flüchtlinge unter psychischen Druck gesetzt, schnell auszureisen“, kritisiert Alexander Thal, Sprecher des Bayerischen Flüchtlingsrats. „Eine schnelle Bearbeitung von Asylanträgen geht nur mit mehr Personal. Wird jedoch das vorhandene Personal zur schnellen Ablehnung der Balkan-Flüchtlinge in den Sonderlagern zusammengezogen, bleiben die Asylanträge von Flüchtlingen aus allen anderen Herkunftsländern umso länger liegen. Für die Flüchtlinge vom Balkan bedeuten die Abschiebelager, dass sie so weit als möglich von der Bevölkerung isoliert werden sollen, um sie an der Wahrnehmung ihrer Rechte zu hindern. Besonders schutzbedürftige Roma aus den Balkan-Staaten, die in anderen EU-Ländern vielfach höhere Anerkennungsquoten haben, werden in Schnellverfahren abgefertigt und in die gruppenspezifische Verfolgung zurück abgeschoben“.
Der Bayerische Flüchtlingsrat fordert, die Balkan-Flüchtlinge nicht einseitig zu Sündenböcken für die Probleme bei der Unterbringung von Flüchtlingen zu erklären. Diese Probleme wurden durch die über Jahre mangelhafte Vorbereitung auf steigende Flüchtlingszahlen bei Bundes- und Landesbehörden großteils selbst verschuldet. Notwendig ist stattdessen:
- Die gründliche Prüfung aller Asylanträge, auch der von Balkan-Flüchtlingen, und eine deutliche Erhöhung der Anerkennungsquoten.
- Ein sofortiges Aufbauprogramm für die Balkan-Staaten, um den Menschen eine Perspektive zu schaffen.
- Einen Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt für Staatsangehörige vom Balkan, denn es gibt insbesondere Mangelberufe mit verschiedenen Qualifikationsniveaus, für die kaum noch Personal in Deutschland zu finden ist.
Zum Seitenhieb Herrmanns in einem Interview mit dem Münchner Merkur gegen den „selbsternannten“ Bayerischen Flüchtlingsrat erklärt Thal: „Der Bayerische Flüchtlingsrat ist eine Menschenrechtsorganisation, die sich, ähnlich wie amnesty international oder Human Rights Watch, für die Achtung der Menschenrechte, speziell der Rechte von Flüchtlingen und MigrantInnen einsetzt. Wir schätzen uns deshalb sehr glücklich, nicht auf die Ernennung zum Beispiel durch den bayerischen Innenminister angewiesen zu sein, denn dann wären wir handlungsunfähig“.