06.12.2002
"Ausreisezentren" sind menschenrechtswidrig
Internationaler Tag der Menschenrechte am 10.12.2002 / Bayerischer Flüchtlingsrat, Münchner Flüchtlingsrat und res publica fordern die Schließung des ersten bayerischen Abschiebelagers in Fürth, weil es gegen die Menschenrechte verstößt.
6 Milliarden Mitglieder der menschlichen Familie bevölkern den Planeten Erde und müssen sich miteinander arrangieren, um ein menschenwürdiges Leben für alle zu sichern. Doch dies gelingt nicht: Nach Angaben des UNHCR sind derzeit 40 Millionen Menschen auf der Flucht, die meisten von ihnen innerhalb ihrer Länder und Kontinente. Lediglich 100.000 finden jährlich einen Weg aus allen Krisengebieten der Erde nach Deutschland.
Die Verantwortung, die Deutschland als einem der wohlhabendsten Länder dieser Erde für die Menschheit zukommt, gebietet, daß wir diesen Flüchtlingen Schutz und Sicherheit gewähren und sie nicht von Beginn an einem System der Repression unterwerfen. Deshalb mag es zwar nach den Buchstaben des Gesetzes legal sein, Flüchtlinge an den Grenzen zurückzuweisen, ohne Prüfung ihrer Asylanträge in sichere Drittländer abzuschieben, sie in Sammelunterkünften unterzubringen, in Abschiebehaft zu nehmen oder in Abschiebelager einzuweisen. Legitim ist dieses rigide Vorgehen jedoch nicht. Daß häufig sogar gegen Menschenrechte verstoßen wird, weist res publica am Beispiel der "Ausreisezentren" nach:
Nachdem das Bundesverfassungsgericht (BVG) die jahrelangen Versuche unterbunden hat, Abschiebehaft als "illegitime Beugemaßnahme" (BVG) gegen Flüchtlinge einzusetzen, die gar nicht abgeschoben werden können, haben sich Ausländerbehörden und Innenministerien auf die Suche nach einem neuen Druckmittel gemacht. Gefunden haben sie es in "Ausreisezentren", die nun zwischen "dem einzigen Druckmittel Abschiebehaft und letztendlicher Kapitulation eine wichtige Lücke geschlossen haben" (Dietmar Martini-Emden, verantwortlich für das Abschiebelager Ingelheim, Rheinland-Pfalz). Um einen weiteren Konflikt mit dem BVG zu vermeiden, behaupten die Innenminister hartnäckig, Abschiebelager seien harmlose Wohnheime, die nichts mit freiheitsentziehenden Maßnahmen zu tun haben. Denn ein Freiheitsentzug darf nur von einem Richter verhängt werden, nicht jedoch per Bescheid durch Behörden der inneren Verwaltung.
Doch der Alltag der Insassen in Abschiebelagern beweist das Gegenteil: Ihr Tagesablauf wird von den Mitarbeitern der Lager und der Wachdienste bestimmt, sie werden unter Druck gesetzt, überwacht, verhört, kontrolliert und jeglicher selbstbestimmter Handlungsmöglichkeiten beraubt. Die einzige "Freiheit", die ihnen noch bleibt, ist die Freiheit, die Lager zwischen den Verhören und der Essensausgabe bis zur Stadtgrenze zu verlassen. Doch diese Freiheit, die Lager in "abgeschiedener Lage" (Konzept Bayern) am Stadtrand ohne Arbeit, Geld oder Kontakte zu den nicht vorhandenen Nachbarn verlassen zu dürfen, ist keine Freiheit im eigentlichen Sinne, die die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben ermöglicht, sondern die Erweiterung des täglichen Hofgangs auf die nähere Umgebung der Lager. Und tatsächlich ist eine Teilnahme am gesellschaftlichen Leben nicht erwünscht, da diese die Integration fördern könnte. Dies ist jedoch aus Sicht der Staatsregierung mangels Perspektiven für einen Aufenthalt in Deutschland überflüssig.
Der Eingriff in die Freiheitsrechte der Insassen von Abschiebelagern ist so massiv, daß er als Freiheitsentzug im Sinne des von Deutschland ratifizierten Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte (Bürgerrechtspakt) gewertet werden muß. Seine Anordnung durch Behörden per Einweisungsbescheid stellt eine bewußte Mißachtung der Menschenrechte dar, da ein Freiheitsentzug nach Artikel 9 Bürgerrechtspakt nur von einem Richter verhängen darf.
Darüber hinaus werden noch weitere Menschenrechte mißachtet, darunter die Rechte auf Schutz der Privatsphäre (Art. 17), auf Bewegungsfreiheit und freie Wohnortwahl (Art. 12) und auf gleiche Behandlung (Diskriminierungsverbot, Art. 2), sowie weiterer Menschenrechte, die sich aus dem Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte ergeben, darunter die Rechte auf Arbeit (Art. 6), auf einen angemessenen Lebensstandard und der stetigen Verbesserung der Lebensbedingungen (Art. 11), auf ein Höchstmaß an körperlicher und psychischer Gesundheit (Art. 12) und auf Teilhabe am kulturellen Leben (Art. 15).
res publica, der Bayerische Flüchtlingsrat und der Münchner Flüchtlingsrat kommen zu dem Schluß, daß sowohl die Unterbringung als auch die Lebensbedingungen in "Ausreisezentren" menschenunwürdig sind und einen mehrfachen Verstoß gegen die Menschenrechte darstellen. Deshalb fordern sie gemeinsam den bayerischen Innenminister auf, seiner Verpflichtung zu Achtung und Schutz der Menschenwürde und der Menschenrechte nachzukommen, das Abschiebelager in Fürth umgehend zu schließen und seine Pläne für weitere drei Abschiebelager vorbehaltlos fallen zu lassen. Sollte er dieser Forderung nicht nachkommen, wird die Menschenrechtsorganisation res publica die Menschenrechts-Kontrollausschüsse der Vereinten Nationen einschalten, um eine öffentliche Verurteilung durch die Vereinten Nationen zu erreichen.
Für Informationen und Recherchen zu Ausreisezentren steht Ihnen die Dokumentationsseite Ausreisezentren zur Verfügung.