21.02.2018
Afghanistanabschiebung wurde zur „Air Bavaria“
Flüchtlingsrat kritisiert: Nur die bayerische Regierung hält rigoros aus wahltaktischen Gründen an Abschiebungen nach Afghanistan fest, Innenminister Herrmann täuscht „beharrlich“ die Öffentlichkeit
Bayerischer Flüchtlingsrat: Gestern abend verließ der 10. Sammelabschiebeflug nach Afghanistan den Münchner Flughafen, eine halbe Stunde nach Abflug vermeldete das bayerische Innenministerium Vollzug. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann erklärte dazu, der Rechtsstaat setze damit ein Zeichen. Es sei „die Aufgabe des Rechtsstaats, seine Bürger zu schützen und die Abschiebung […] mit Nachdruck durchzusetzen“.
Doch Rechtsstaatlichkeit zeigt sich gerade im Umgang mit schutzsuchenden Menschen. Und hier gibt der Vollzug der bayerischen Behörden mehr und mehr Anlass zu Zweifeln, wie es um die Rechtsstaatlichkeit in Bayern bestellt ist. In zwei dem Bayerischen Flüchtlingsrat bekannten Fällen mussten die von der Staatsregierung für die Abschiebung vorgesehenen Afghanen aus der Abschiebhaft entlassen werden, die zuständigen Verwaltungsgerichte beurteilten die Vorgehensweise der Behörden als rechtswidrig. In mindestens einem Fall wurde ein Geflüchteter abgeschoben, der in keine der Personengruppen, die laut Vereinbarung mit der Bundesregierung überhaupt abgeschoben werden dürfen, gehört: Er ist weder Straftäter, noch Gefährder oder hartnäckiger Identitätsverweigerer.
Und auch bei der Definition dieser Personengruppen beweist das bayerische Innenministerium eine kaum zu überbietende Kreativität. Als Straftäter gerät man in Bayern schon in die Räder der Abschiebemaschinerie nach einer Verurteilung zu 50 Tagessätzen aufgrund eines Bagatelldelikts. Wer mit einem falschen Pass eingereist ist, wird wegen Urkundenfälschung in der Regel höher bestraft und steht schon mit einem Bein im nächsten Abschiebeflieger.
Besonders die Einstufung als hartnäckiger Identitätsverweigerer ist nicht mehr nachzuvollziehen. In seiner Pressemitteilung erklärt Herrmann, „die beharrliche Weigerung, die eigene Identität preiszugeben, werden wir in Bayern daher keinesfalls dulden“. Das Wort „beharrlich“ erweckt den Eindruck, hier ginge es um Flüchtlinge, die bis heute ihre Identität verschleiern. Doch mehrere Fälle aus den letzten Fliegern und selbst Herrmanns Einlassungen im Bayerischen Landtag beweisen, dass dies schlicht falsch ist: Wer nur einmal einer Aufforderung der Ausländerbehörde in der Vergangenheit nicht nachgekommen ist, gilt als hartnäckiger Identitätsverweigerer, selbst wenn die Identität längst geklärt ist und ein Pass vorliegt.
„Bayern beteiligte sich mit zehn Flüchtlingen an der Sammelabschiebung, die übrigen 15 Bundesländer mit insgesamt nur vier – es wird ganz schön einsam um Bayern. Die zehnte Afghanistanabschiebung ist zu einer Air Bavaria verkommen. Bei den angeblich hartnäckigen Identitätsverweigerern täuscht Innenminister Herrmann ‚beharrlich‘ die Öffentlichkeit, um seinen menschenfeindlichen Kurs zu rechtfertigen. Das ist widerwärtiger Wahlkampf für die Regierungspartei CSU mit Fakenews auf dem Rücken von Flüchtlingen“, kritisiert Alexander Thal, Sprecher des Bayerischen Flüchtlingsrats. „Die deutsche Botschaft in Kabul ist nicht in der Lage, einen neuen Lagebericht zu erstellen. Ihre Mitarbeiter*innen mussten nach dem verheerenden Bombenanschlag im letzten Jahr fliehen und in der US-Botschaft Asyl suchen. Deshalb sind die Abschiebungen nach Afghanistan sofort zu beenden!“