15.03.2004
Abschreckung auf ganzer Linie
Unter dem Deckmäntelchen der Haushaltskonsolidierung schwenkt die bayerische Flüchtlingspolitik auf Ausschluss und Illegalisierung ein
Auf einen Nenner gebracht bedeuten diese Mittelverschiebungen einen Abbau sozialer Integration und einen Ausbau des repressiven Ausgrenzungsapparats. Es entsteht eine Parallelstruktur der Lagerunterbringung, Sozial- und Innenministerium konkurrieren um eine Flüchtlingspolitik, die den Anspruch auf menschenwürdige Unterbringung immer deutlicher der Maxime der Abschreckung unterordnet. Eine noch annähernd flächendeckende soziale Betreuung von Flüchtlingen wird aufgeben zugunsten einer flächendeckenden und kostenintensiven Errichtung von Ausreiselagern unterschiedlicher Couleur. Immer früher, immer härter und immer umfassender soll die Ausreise vom Menschen erzwungen werden, über deren Bleiberecht oft noch nicht das letzte Wort gesprochen ist.
"Der humanitäre Flüchtlingsschutz wird zunehmend zur leeren Worthülse, wenn Asylsuchende schon vor der Entscheidung über ihren Antrag zur Ausreise genötigt werden", kritisierte Elisabeth Köhler, Vorsitzende des Fördervereins Bayerischer Flüchtlingsrat, heute. "Dass hier Sparmaßnahmen vorgeschoben werden, um die Ausgrenzung von Flüchtlingen weiter voranzutreiben, ist Augenwischerei. Die Ausgrenzungspraktiken, die zur Illegalisierung und Kriminalisierung von Flüchtlingen führen werden, ziehen weit mehr Folgekosten nach sich, als jemals an der Betreuung eingespart werden kann. Der verstärkte Ausreisedruck auf Flüchtlinge provoziert, dies belegen die Zahlen des Innenministeriums, das Abtauchen vieler Flüchtlinge in die Illegalität. Diese Maßnahmen sind nicht nur menschlich und sozial indiskutabel, sondern sind auch ökonomisch durch nichts zu rechtfertigen", so Köhler weiter.
Die Kürzungen im Bereich Flüchtlingsbetreuung durch Wohlfahrtsverbände haben zur Folge, dass künftig ein großer Teil der Flüchtlingsunterkünfte in Bayern ohne jegliche Betreuung bleiben wird. Die UnterkunftsbewohnerInnen besonders in ländlichen Gegenden Bayerns werden noch stärker isoliert sein als bisher. Niemand wird vor Ort sein, der ihre Situation wahrnehmen, ihre Interessen vertreten und in ihren Anliegen vermitteln kann. Ebenso wird die Anleitung von Ehrenamtlichen zukünftig nicht mehr möglich sein und damit auch Kontakte zum Erliegen bringen.
Wie sich dies auf die Flüchtlinge auswirken wird, stellte Stephan Dünnwald, Sprecher des Bayerischen Flüchtlingsrats anhand einer Unterkunft in Oberfranken dar. Eine inzwischen anerkannte tschetschenische Asylsuchende berichtet brieflich detailliert über Schikanen des dortigen Unterkunftsverwalters, der selbst bei einer akuten Erkrankung eines Kindes Hilfe verweigerte und die Bewohner mit zynischen Sprüchen brüskierte. "Dies zeigt deutlich die Konsequenzen einer fehlenden Betreuung auf. Nicht nur, dass Verwalter unkontrolliert über die Bewohner einer Unterkunft herrschen können, sondern auch, dass die Betroffenen sich mangels lokaler Stellen auf verschlungenen Wegen an den fernen Bayerischen Flüchtlingsrat wenden, zeigt, wie sehr Flüchtlinge künftig auf sich allein gestellt sein werden", so Dünnwald. "Flüchtlinge werden von Sozialberatung, Anwälten und Menschenrechtsorganisationen, vor allem aber von der Bevölkerung abgeschnitten sein. Künftig wird niemand mehr gegen die Ausgrenzung oder Abschiebung von Flüchtlingen protestieren können, weil niemand mehr etwas über sie erfährt."
Luftbuchungen auf Kosten der Flüchtlinge
Wie wenig das bayerische Sozialministerium sich um die vom Freistaat untergebrachten Flüchtlinge schert, wird schließlich an den geplanten Kürzungen im Unterbringungsbereich deutlich. Auch die Gelder für Unterkünfte werden im Haushaltsentwurf deutlich (um 30 %) reduziert. Begründet wird diese Kürzung damit, dass in den nächsten beiden Jahren mit einer umfassenden Rückführung von Flüchtlingen nach Afghanistan und in den Irak gerechnet wird. Diese Spekulation mag das Interesse der Staatsregierung wiederspiegeln, die Realität sieht anders aus. Auch wenn Bayern schon mal die Abschiebung eines Afghanen geprobt hat, so sind weder Afghanistan noch Irak in absehbarer Zeit als sichere Staaten einzustufen, in welche eine Rückkehr von Flüchtlingen gefahrlos möglich erscheint. Wenn die Staatsregierung jetzt schon mit einer Rückführung afghanischer und irakischer Flüchtlinge liebäugelt, dann zeugt dies von Realitätsverlust und Preisgabe jeglicher menschenrechtlicher Mindeststandards.
Repression statt Integration: das Geld wird falsch verteilt
Das bittere Fazit, das der Bayerische Flüchtlingsrat aus den Haushaltsplänen zieht, heißt Ausgrenzung, Abschreckung, Abschiebung um jeden Preis. Trotz einer deutlichen Tendenz, Flüchtlinge verstärkt aus ihren sozialen Bezügen herauszureißen und in Lager einzuweisen, wird die Betreuung von Flüchtlingsunterkünften drastisch reduziert. Dadurch wird dem Bedürfnis der Flüchtlinge, Kontakt zur Gesellschaft zu finden und sich zu integrieren, ein Riegel vorgeschoben. Integrationsleistungen der Flüchtlinge werden nicht honoriert, sondern rückgängig gemacht, die Abschreckung wird verstärkt. Auch Flüchtlinge, die seit langen Jahren in Bayern leben, sollen aus dem Land gedrängt werden. Die Gelder, die Bayern für Flüchtlinge ausgibt, werden aus dem Bereich der Integration in den Bereich Ausgrenzung verschoben. Die Integration von Flüchtlinge, die noch auf ihre Anerkennung warten oder auch im Falle einer Ablehnung ihres Antrags nicht ausreisen können, soll verhindert werden. Damit riskiert die bayerische Staatsregierung, dass Tausende Menschen, die auch längerfristig in Bayern leben, einer Lagerunterbringung unter abschreckenden Bedingungen ausgesetzt sind, die nachweislich erhebliche psychische Beschädigungen und Aggressionen produziert. Legale Auswege aus dieser Situation werden zunehmend verbaut, weshalb diese Politik auf eine Kriminalisierung und Illegalisierung von Flüchtlingen hinausläuft.
Abbau von Ausgrenzung und Abschreckung spart Geld
Zu dieser Politik gibt es Alternativen. Seit Einführung der Lagerunterbringung von Flüchtlingen Anfang der 80er Jahre ist von verschiedenen Seiten immer wieder festgestellt worden, dass Lagerunterbringung und die Versorgung mit Sachleistungen teuer ist, wesentlich teurer als eine private Unterbringung von Flüchtlingen. Stellt man den Flüchtlingen statt der Sachleistungen das Äquivalent in Bargeld zur Verfügung, erhalten diese erheblich mehr und vor allem bessere Produkte. Kostenfaktor ist außerdem das, was sich als Konsequenz einer Politik der sozialen Ausgrenzung ergibt. Lagerunterbringung und Ausgabe von Sachleistungen entmündigen die Flüchtlinge und berauben sie der Möglichkeit, ihre sozialen Kompetenzen einzusetzen und weiterzuentwickeln. Im Effekt produziert die bayerische Politik hilfsbedürftige Sozialfälle mit einem erhöhten Betreuungsbedarf.
Der Bayerische Flüchtlingsrat fordert ein Ende dieser Politik.
Notwendig sind eine Aufhebung des Arbeitsverbots für Flüchtlinge und einen Stopp der Zwangseinweisungen in Lager. Dies würde Flüchtlinge aus dem verordneten Bezug von Sozialleistungen befreien und eine kostenträchtige Lagerunterbringung ersparen. Damit könnte das Vielfache der Gelder eingespart werden, die jetzt bei der Betreuung von Flüchtlingen gestrichen werden und Flüchtlingen würde ein menschenwürdiges Leben in Bayern ermöglicht. Und zum Schluss: Flüchtlinge, die nicht zu hilflosen Sachleistungsempfängern degradiert werden, sondern bei der Entwicklung ihrer eigenen Kompetenzen Unterstützung erfahren, können auch Perspektiven entwickeln und den Mut zu der Entscheidung finden, in ihr Herkunftsland zurückzukehren, wenn die Verhältnisse es zulassen.