16.04.2003

Abschiebung aus „Ausreisezentrum“ gescheitert

Schnelle Abschiebung von Dimitri Olenin, Insasse des Abschiebelagers Fürth ausgesetzt. Bayerischer Flüchtlingsrat und res publica kritisieren Versuch der gezielten Ausschaltung des Sprechers der Abschiebelager-Insassen.

Bayerischer Flüchtlingsrat, res publica: Jahrelang wurde Dimitri Olenin vorgeworfen, er verschleiere seine Identität. Sein Asylverfahren wurde abgelehnt, er verbrachte anderthalb Jahre in Abschiebehaft und wurde im Abschiebelager Fürth drangsaliert. Nachdem nun die russischen Behörden seine Identität bestätigt haben, sollte er schnellstmöglich abgeschoben werden. Die Abschiebung wurde in letzter Minute aufgrund eines Eilantrags vorläufig ausgesetzt. Der Fall Dimitri Olenin verdeutlicht exemplarisch die Situation der Insassen des Abschiebelagers Fürth und die repressive Behördenpraxis gegenüber Asylsuchenden.

Dimitri Olenin war als Soldat der russischen Armee in Polen stationiert. Als er 1992 einen Marschbefehl nach Berg-Karabach in den Bürgerkrieg zwischen Armenien und Aserbaidschan erhielt, desertierte er, flüchtete nach Deutschland und stellte einen Asylantrag, weil ihn als Deserteur in Russland eine Haftstrafe von bis zu 25 Jahren erwartet hätte.

Der Asylantrag wurde vom Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge im Jahr 1994 ohne weitere Prüfung der Fluchtgründe abgelehnt, da Dimitri Olenin seine Identität nicht nachweisen konnte. Denn er war als russischer Wehrpflichtiger ohne seinen Pass, den er bei der Armee abgeben musste, nach Deutschland eingereist.

Damit begann Dimitri Olenins Kampf gegen die Windmühlenflügel der deutschen Ausländerbehörden. Zunächst untergebracht in einem Sammellager für AsylbewerberInnen in Bamberg versuchte er, auf gerichtlichem Wege seinen Asylantrag durchzusetzen. Doch auch die Klage gegen die Ablehnung durch das Bundesamt wurde 1997 vom Verwaltungsgericht Ansbach abgewiesen. Alle weiteren Versuche, mit Asylfolgeanträgen ein Aufenthaltsrecht zu erlangen, scheiterten ebenfalls.

Auch die verschiedenen Bemühungen seitens der Ausländerbehörde Bamberg, für Dimitri Olenin Heimreisepapiere zu beschaffen, misslangen. Sowohl das russische Generalkonsulat in München, als auch das Innenministerium der russischen Republik Tywa sowie das Innenministerium der russischen Förderation (Verwaltung für Internationale Zusammenarbeit) weigerten sich, die Identitätsangaben Dimitri Olenins zu bestätigen. Da dies jedoch nicht den russischen Behörden, sondern Dimitri Olenin angelastet wurde, verbrachte Olenin die maximal möglichen 18 Monate Abschiebehaft, obwohl er von Anfang an beteuert hatte, seine richtige Identität angegeben zu haben.

Nach der Abschiebehaft kam Dimitri Olenin zunächst zurück nach Bamberg, bis er im Oktober 2002 ins neu errichtete Abschiebelager in Fürth eingewiesen wurde. Die Begründung: Noch immer mache Herr Olenin falsche Angaben zu seiner Identität. Auch dort blieb Olenin bei seinen Angaben und wehrte sich gegen die Unterstellung, er sei gar nicht Dimitri Olenin. In der Folgezeit engagierte sich Dimitri Olenin bei der Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen Nürnberg und berichtete, was hinter den Zäunen des Abschiebelagers Fürth geschieht. Seine Kritik äußerte er auch in Informationsveranstaltungen, Pressekonferenzen, Radiointerviews und Fernsehberichten. Damit zog er sich den Unmut der Lagerleitung zu, was sich in vermehrten Repressalien, der Kürzung und schließlich vollständigen Streichung des Taschengelds niederschlug.

Am Freitag, 11.04.03 nun die Wende: Am frühen Abend wurde Dimitri Olenin in Abschiebehaft genommen und sollte am heutigen Mittwoch, 16.04.03 um 8.50 Uhr via Prag nach Moskau abgeschoben werden. Kein Wort mehr von den Zweifeln an der Wahrheit seiner Identitätsangaben, denn das russische Generalkonsulat hatte schließlich nach 11 Jahren die Identität Dimitri Olenins bestätigt und sich bereit gezeigt, die zur Abschiebung notwendigen Dokumente auszustellen.

Den Kontakten der Karawane Nürnberg zu den Insassen des Fürther Abschiebelagers ist es zu verdanken, dass der Anwalt Dimitri Olenins überhaupt von der Inhaftierung erfuhr, denn die Behörden haben ihn darüber pflichtwidrig nicht informiert. So war es ihm möglich, einen Eilantrag auf Aussetzung der Abschiebung zu stellen. Denn die Bestätigung der Identitätsangaben ermöglicht es Dimitri Olenin, einen neuen Asylfolgeantrag zu stellen, der nicht mehr mit dem Verweis auf seine falschen Angaben abgelehnt werden kann. Dem Eilantrag wurde stattgegeben, die Abschiebung vorläufig ausgesetzt und Dimitri Olenin von der JVA Stadelheim, wohin er zum Zweck der Abschiebung schon überstellt worden war, zurück in die JVA Nürnberg verlegt.

Das Vorgehen der Behörden zeugt von grundsätzlicher Voreingenommenheit gegenüber dem Asylsuchenden Dimitri Olenin. Konsequent und jahrelang wurde die Identität von Dimitri Olenin angezweifelt, was sogar das Scheitern seines Asylantrags zur Folge hatte. Die Weigerung der russischen Behörden, ihn als russischen Staatsbürger anzuerkennen, wird voll dem Asylsuchenden und seiner Glaubwürdigkeit angelastet. Als nach einem guten Jahrzehnt das russische Generalkonsulat endlich Dimitri Olenins Angaben bestätigt, wird ihm nicht etwa endlich eine Chance auf ein faires Asylverfahren zugebilligt. Stattdessen betreibt die Regierung von Mittelfranken, insb. der Leiter der Zentralen Rückführungsstelle Nordbayern, Dr. Christoph Hammer, und der Leiter der Außenstelle Zirndorf Meissner schnellstmöglich die Abschiebung von Dimitri Olenin, ohne seinen Anwalt von der Festnahme und der drohenden Abschiebung in Kenntnis zu setzen. Die zuständigen Regierungsbeamten Hammer und Meissner versuchen mit allen Mitteln, einen widerspenstigen Insassen des Abschiebelagers Fürth auszuschalten und den verbleibenden Insassen zu signalisieren: Jeglicher Widerstand ist zwecklos.

Der Bayerische Flüchtlingsrat und res publica fordern, die in Fürth praktizierte "Zermürbungstaktik" (Christoph Hammer) gegen Flüchtlinge aufzugeben und das Abschiebelager Fürth sofort zu schließen. Eine solche Einrichtung, die der unkontrollierten Willkür der zuständigen Behörden unterworfen ist, steht mit rechtsstaatlichen Prinzipien nicht in Einklang.

Der Fall Olenin bestätigt den Eindruck willkürlichen und ressentimentgeladenen Handelns der Ausländerbehörden. Jegliche Fakten werden zu Ungunsten von Flüchtlingen ausgelegt, fehlende Beweise für die Wahrheit der Angaben von Flüchtlingen wurden ihnen selbst zur Last gelegt. Denn die Weigerung der russischen Behörden, die Identitätsangaben von Dimitri Olenin zu bestätigen wurde zur Weigerung Dimitri Olenins uminterpretiert, seine wahre Identität preiszugeben. Die Praxis der Ausländerbehörden, Flüchtlingen notorisch mangelnde Mitwirkung und Identitätsverschleierung zu unterstellen und sie unter diesem Pauschalvorwurf ins Abschiebelager Fürth einzuweisen, wird bislang von den Gerichten großzügig bestätigt.

Der Bayerische Flüchtlingsrat und res publica fordern deshalb die zuständigen Gerichte, insbesondere das Verwaltungsgericht Ansbach auf, dem Behördenwunsch nicht länger unbesehen zu folgen und Klagen gegen die Einweisung ins Abschiebelager Fürth nicht wie bisher routiniert abzuweisen. Prüft das Gericht die Argumentation der Behörden hinsichtlich der Identitätsverschleierung und mangelnden Mitwirkung nicht im Einzelfall, entledigt sich das Gericht zugleich seiner Unabhängigkeit und seiner Sorgfaltspflicht.

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