02.07.2009

„Schluss mit der Märchenstunde – handeln Sie jetzt!“

Bayerischer Flüchtlingsrat korrigiert falsche Informationen der CSU und fordert den Landtag auf, noch vor der Sommerpause die Lagerpflicht für Flüchtlinge abzuschaffen

In den letzten Wochen argumentierten CSU und Staatsregierung mehrfach mit falschen Informationen und Daten, um die Lagerpflicht für Flüchtlinge beizubehalten. Insbesondere fallen immer wieder die Behauptungen, Lager seien billiger als Wohnungen, in der Lagern lebten vor allem Asylmissbraucher, sowie die Regierungen würden locker mit der Lagerpflicht umgehen. Diese Märchen sollen hier als solche entlarvt werden:

Märchen Nr. 1: Lager sind billiger als Wohnungen
In der interfraktionellen ExpertInnenanhörung im Landtag vom 23.04.09 hat Dr. Oliver Bloeck vom Bayerischen Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen die Kosten der Unterkunft auf 230 Euro pro Person geschätzt. Diese Zahl wies Alexander Thal für den Bayerischen Flüchtlingsrat zurück und schätzte die Kosten mit Bezug auf Zahlen des ehemaligen Innenministers Günther Beckstein aus dem Jahr 2002 auf 400 Euro pro Person und Monat. Rudolf Stummvoll von der Stadt München konnte in der Anhörung bestätigen, dass die Kosten für München sich sogar auf 683 Euro pro Person und Monat belaufen.
Nach mehreren Rückfragen von Abgeordneten an Herrn Bloeck bezüglich dieses immensen Unterschieds der Kostenrechnungen musste er zugeben, dass „etwa die Unterhaltungskosten oder, wie es gesagt wurde, Wachdienste und sonstige Kosten, die rund um die Unterbringung anfallen“, nicht berücksichtigt sind.
Sozialministerin Christine Haderthauer stellte allerdings in der Landtagsdebatte am 1.7.09 dar, dass der Freistaat pro Flüchtling insg. 675 Euro aufbringt. Zieht man davon die Sachleistungen wie Essenspakete und Kleidung ab, dürften sich die Kosten für die Unterbringung in Flüchtlingslagern auf ca. 475 Euro pro Person und Monat belaufen. Damit wäre eine Unterbringung in Wohnungen erheblich billiger.

Märchen Nr. 2: Asylmissbraucher sind das Problem
In ihren Stellungnahmen zu den Gesetzentwürfen der Grünen und der Freien Wähler behauptete Haderthauer, das Problem seien die „ausreisepflichtigen Ausländer, die ihre Abschiebung rechtsmissbräuchlich behindern“ würden. Diese „Asylmissbraucher“ grenzte sie in der Landtagsdebatte am 1.7.09 von den geduldeten Flüchtlingen ab: „ich meine damit nicht die Geduldeten“.
Obwohl eine Ministerin sich eigentlich mit den gesetzlichen Grundlagen auskennen müsste, kommen wir um eine Belehrung nicht umhin: Es gibt nach den Gesetzen keine „guten“ Geduldeten, genauso wenig wie es „böse“ ausreisepflichtige Ausländer gibt. Denn das besondere Kennzeichen der Duldung ist gerade, dass ihre InhaberInnen ausreisepflichtig sind. Der juristisch korrekte Titel der Duldung ist deshalb „Vorübergehende Aussetzung der Abschiebung (Duldung)“. Zu den Geduldeten zählen auch Flüchtlinge aus dem Irak, aus Afghanistan oder Somalia, wohin derzeit Abschiebungen nicht möglich sind. Weshalb die Abschiebung dieser Personen nur vorübergehend ausgesetzt ist, obwohl eine Abschiebung gar nicht möglich ist, ist nicht nachvollziehbar, sie sollten stattdessen eine Aufenthaltserlaubnis bekommen.
Unabhängig davon ist es ein Gebot der Menschlichkeit, alle Menschen menschenwürdig unterzubringen. Eine Bestrafung für eine vermeintliche Verhinderung der Abschiebung durch die Unterbringung im Lager halten wir für verfassungswidrig.

Märchen Nr. 3: Regierungen haben fast der Hälfte der LagerbewohnerInnen den Auszug erlaubt

Immer wieder betont Haderthauer, dass 45 % aller „Leistungsberechtigten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz“ eine Auszugserlaubnis erhalten hat, obwohl sie noch im Flüchtlingslager leben müssten. Unabhängig davon, dass das an der Lagerpflicht für die verbleibenden 55 % nichts ändert, das Argument also unsinnig ist, muss dazu folgendes festgehalten werden: Dass 45 % der LagerbewohnerInnen aus den Lagern ausziehen konnten, ist nicht das Verdienst der bayerischen Behörden. Dies wurde möglich, weil in der Vergangenheit mehrere Flüchtlinge, die eigenes Einkommen hatten, Wohnungen angemietet haben. Da die Bezirksregierungen nach Aufnahmegesetz jedoch keine Auszugserlaubnisse erteilt hatten, waren sie gezwungen, sowohl die Miete ihrer Wohnungen, als auch die Unterkunftsgebühren für ihr Bett im Flüchtlingslager zu bezahlen. Bayerische Gerichte beurteilten diese Praxis als gesetzeswidrig, da die Regierungen nicht Gebühren verlangen dürfen für Leistungen, die sie gar nicht erbringen.
Im Ergebnis führt das dazu, dass Flüchtlinge, die eigenes Einkommen haben und eine Wohnung finanzieren könnten, auf Antrag noch immer keine Auszugserlaubnis erhalten. Wenn es ihnen jedoch gelingt, trotz der Lagerpflicht eine Wohnung anzumieten, und wenn sie sich danach ordnungsgemäß ummelden, sind den Behörden die Hände gebunden. Haderthauer versucht somit, das Aufnahmegesetz schön zu reden, indem sie Flüchtlinge in ihre Erfolgsstatistik aufnimmt, die gegen den erklärten Willen der Staatsregierung durch die Hintertür das (Lager-)Weite gesucht haben.


„Handeln Sie jetzt – denn Menschenrechte haben Vorrang!“

Die Debatten der letzten Wochen haben gezeigt, dass die Mehrheit der Abgeordneten im Bayerischen Landtag die Abschaffung bzw. eine erhebliche Begrenzung (1 Jahr) der Lagerpflicht für Flüchtlinge unterstützt. Diesen Druck spürt auch die CSU und versucht, sich ihm mit einer Hinhaltetaktik zu entziehen, um damit eine Entscheidung auf nach der Sommerpause zu verschieben.
Doch die Flüchtlinge leiden weiterhin unter ihren menschenunwürdigen Lebensbedingungen. Der Bayerische Flüchtlingsrat fordert deshalb die CSU auf, die Märchenstunde zu beenden und sich der Mehrheit im Landtag zu fügen. „Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, es kann nicht sein, dass Sie Ihre Sommerpause genießen und die Flüchtlinge dafür weiter in ihren Lagern schmoren, weil Sie sich nicht rechtzeitig einig geworden sind. Die Mehrheit für die Abschaffung der Lagerpflicht ist da, nutzen Sie sie und lassen Sie die Flüchtlinge sofort in Privatwohnungen ziehen. Handeln Sie jetzt!“ fordert Alexander Thal vom Bayerischen Flüchtlingsrat.

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