Mainpost, 15.10.2010

Vorwurf „kopfloser“ Asylpolitik

„Wenn wirklich Not ist, will sich keiner der Aufnahme neuer Asylbewerber verschließen.“ Das sagte schon Würzburgs Oberbürgermeister Georg Rosenthal auf einer Pressekonferenz vor einer Woche. Gestern reiste der Bayerische Flüchtlingsrat durch Unterfranken und schaute sich die Flüchtlingslager in Würzburg und Aschaffenburg an. „Schmutzige Donnerstagstour“ nannte der Beirat diese Tour selbst, weil in den bestehenden Einrichtungen trotz aller Bemühungen noch keine akzeptablen Zustände herrschen. Jetzt ist im Gespräch, dass in Würzburg in der alten Emery-Kaserne neben der Gemeinschaftsunterkunft, wo derzeit über 400 Flüchtlinge leben, zusätzlich eine Erstaufnahmeeinrichtung installiert wird.

Für alle Beteiligten, die helfen wollen, ist das ein „Überraschungscoup“, wie es Michael Koch vom Freundeskreis für ausländische Flüchtlinge in Unterfranken gestern bei einer gemeinsamen Pressekonferenz formulierte. Der Vorsitzende des Ausländerbeirats der Stadt Würzburg, Antonino Pecoraro, war „vor den Kopf gestoßen, überrascht und verärgert“. Auch Tage nachdem solche Überlegungen öffentlich wurden, wisse niemand, was man vorhat.

„Ein Überraschungscoup für uns alle“

„Das macht uns Angst, wir haben nur Fragen und keine Antworten“, sagt Pecoraro. Er befürchtet, dass mit Blick auf die Integration und Verbesserung der Lebensbedingungen der Flüchtlinge alles bisher Erreichte, schnell zunichtegemacht werden könnte.

Die Regierung spricht nach wie vor von einem „Prüfauftrag“. Doch daran glaubt niemand bei den engagierten Gruppen, weil in der Staatsregierung in der Asylpolitik alles „kopflos“ läuft, so Alexander Thal vom Bayerischen Flüchtlingsrat. Als Beispiel nennt er die untragbaren Zustände in den Erstaufnahmelagern in München, für die die Regierung von Oberbayern zuständig ist. Dort seien die Container aufgrund nicht mehr haltbarer Zustände erst geschlossen und aufgrund der Drucksituation neuer Flüchtlinge dann mit Billigung des Landtages wieder geöffnet worden. Zirndorf in Mittelfranken sei seit Jahren überbelegt.

Und im Zusammenhang mit den verrotteten Containeranlagen in München ergebe sich die Notsituation, mit der auch Würzburg wieder ins Gespräch gekommen ist, so Thal. Es gehe nicht um neue große Asylantenströme, „wir bewegen uns vergleichsweise auf einem niedrigen Level“, sagte Koch vom Freundeskreis. Der Vertreter des Flüchtlingsrats sprach im Zusammenhang mit der Aufnahmestelle in München von einem „Skandal“. Sozialministerin Christine Harderthauer habe den bisherigen Referenten für die Unterbringung von Flüchtlingen, Oliver Block, deswegen gefeuert. Auch die Leiterin des Flüchtlingslagers „Waldmeisterstraße“ sei abgesetzt. Letzteres wurde von der Regierung von Oberbayern aber nicht bestätigt.

Das Missionsärztliche Institut Würzburg sieht es seit Jahren als Verpflichtung an, Asylbewerbern medizinisch beizustehen. Dr. August Stich schilderte gestern, dass diese Menschen gerade bei der Erstversorgung intensiv betreut werden müssen. Man müsse Traumatisierungen, Folterfolgen und importierte Infektionskrankheiten frühzeitig erkennen, um spätere Schäden abzuwenden. Mindeststandards müssten da für neue Flüchtlinge organisatorisch und finanziell gesichert werden.

Richard Wust

Quelle: Mainpost Würzburg

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